«Tagesschau»-Beitrag über Auschwitz beanstandet

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Mit E-Mail vom 30. Januar 2015 hat mir die Unabhängige Beschwerdeinstanz UBI Ihre Eingabe des gleichen Tages zur Behandlung weitergeleitet. Sie wurden darüber schriftlich informiert. Sie monieren die Hauptausgabe der Tagesschau vom 26. Januar. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 2. Februar bereits bestätigt.

Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stellung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die von Ihnen kritisierte Sendung sehr genau angeschaut. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden.

1. Sie begründen Ihre Reklamation wie folgt:

„Ich bin der Meinung, dass es nicht genügt zu sagen, dass in Auschwitz über eine Million Menschen starben. Es müsste heissen: In Auschwitz wurden über eine Million Menschen ermordet. Die meisten davon waren Juden.

Die Antwort, die ich von der Redaktion auf meine Kritik erhalten habe, überzeugt mich keineswegs wenn es heisst, vielleicht habe man diese Präzisierung aus Zeitgründen weggelassen und ‚Menschen’ sei schliesslich nicht falsch.

Ich hoffe, dass Sie meine Kritik verstehen und der Tagesschau-Redaktion erklären können, weshalb diese Präzisierung unerlässlich ist. Diese Menschen wurden ermordet, weil sie Juden waren.“

2. Wie bereits erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen das Schreiben von Herrn Franz Lustenberger, Stv. Redaktionsleiter der Tagesschau, nicht vorenthalten. Er schreibt Folgendes:

„Mit Email vom 30. Januar kritisiert Frau X die Berichterstattung der Tagesschau vom 26. Januar zum Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 70 Jahren. Die Eingabe von Frau X bezieht sich einzig auf die Tatsache, dass in der Moderation zum Beitrag von über einer Million Opfer die Rede war und nicht explizit erwähnt wurde, dass die meisten der Ermordeten Juden waren.

Es ist richtig, die meisten Ermordeten in Auschwitz waren Jüdinnen und Juden, die einzig deshalb ermordet wurden, weil sie jüdischen Glaubens waren. In Auschwitz und anderen Konzentrationslagern wurden auch hunderttausende von Menschen aus anderen Bevölkerungsgruppen, wie Sinti und Roma, Kriegsgefangene, Oppositionelle oder geistig und körperlich Behinderte ermordet. Das nationalsozialistische Schreckensregime und seine Helfer in den eroberten Ländern haben in den Jahren zwischen 1933 und 1945 nach übereinstimmenden Schätzungen rund 15 Millionen Zivilpersonen umgebracht. Rund 6 Millionen der Ermordeten waren Jüdinnen und Juden. Es ist richtig, die systematische Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens während der Nazi-Diktatur ist einmalig in der Weltgeschichte.

Die Autoren der Beiträge von SRF, die im Umfeld des Gedenktages Ende Januar ausgestrahlt wurden, waren sich dessen bewusst. Wie die folgenden Anmoderationen zeigen (die Beiträge 10v10 vom 23. Januar und Tagesschau vom 27. Januar liegen der Ombudsstelle vor):

10v10 vom 23. Januar: ‚Am nächsten Dienstag reisen Staatsoberhäupter aus aller Welt nach Auschwitz in Polen. Dort gedenken sie der Befreiung des KZ Auschwitz/Birkenau durch die russische Armee im Januar 1945: 1,1 Millionen Menschen, meist jüdischer Abstammung starben hier. Männer, Frauen, Kinder – Opfer des Naziregimes. Seither steht der Name Auschwitz als Inbegriff für den Holocaust....’

Tagesschau, 19.30 Uhr, vom 27. Januar: ‚Es war ein Ort des Grauens und es steht synonym für die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis: Das Konzentrationslager Auschwitz. Am 27. Januar 1945, also vor genau 70 Jahren ist die deutsche Todesfabrik in Polen durch die Rote Armee befreit worden....’ Und weiter sagt Halina Birenbaum, eine Überlebende im Beitrag: ‚Ich war 11 Jahre alt – für mich und andere hunderttausende jüdische Menschen war dieser Platz (die Todesmauer vor Block 11, die Redaktion) die einzige Realität. Eine bodenlose Hölle, aus der wir nicht herauskamen.’

Der 27. Januar ist der eigentliche Tag der Befreiung. Auch in den Nebenausgaben von 18 Uhr und von 24 Uhr der Tageschau sind Überlebende jüdischen Glaubens vorgekommen, mit bemerkenswerten und allgemeingültigen Sätzen.

Halina Birnebaum kommt auch in der Tagesschau von 18 Uhr mit der gleichen Aussage wie in der Hauptausgabe zu Wort.

In der Tagesschau-Nacht kommt Roman Kent vor, der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. Er ist auch Vorsitzender der ‚American Gathering of Jewish Holocaust Survivors’. Seine Worte: ‚Eine Minute war in Auschwitz wie ein ganzer Tag. Ein Tag wie ein Jahr. Ein Monat wie eine Ewigkeit. Wie viele Ewigkeiten kann ein Mensch in seinem Leben erfahren? Ich kenne die Antwort nicht. Es sind nachdenkliche Worte, die alle Opfer von Auschwitz einschliessen.

Im Beitrag vom 26. Januar, dessen Anmoderation Frau X beanstandet, hat unser Deutschland-Korrespondent eine Überlebende nach Auschwitz begleitet. Es ist eine Reportage mit einem ganz persönlichen Zugang zu den Erlebnissen und Geschehnissen damals. Die Tagesschau hat mit dieser sehr persönlichen Schilderung viel vom Grauen des Holocaust vermitteln können, viel mehr als Zahlen auszusagen vermögen. Die Protagonistin im Beitrag ist eine der wenigen Männer und Frauen, die in der Öffentlichkeit über das Grauen von damals berichten. Sie wird vom Maximilan-Kolbe-Werk http://maximilian-kolbe-werk-projekt2012.blogspot.ch/p/web-20.html aufgeführt. Sie erzählt glaubwürdig und stellvertretend für alle Opfer, was sie dort am Ort des Grauens erlebt hat. Für die Opfer macht es keinen Unterschied aus, aus welchen Motiven sie von den Nazis ermordet wurden.

Die Informationssendungen von SRF haben in den allermeisten Beiträgen auf die Tatsache hingewiesen, dass die überwiegende Mehrheit der ermordeten Menschen in Auschwitz jüdischen Glaubens war. Auschwitz ist ein besonderer Ort für Jüdinnen und Juden, es ist aber auch ein Mahnmal für die ganze Menschheit.

Ich bitte Sie, die Eingabe in diesem Sinne zu beantworten.“

3. Soweit die Stellungnahme des Stv. Redaktionsleiters der Tagesschau. Herr Franz Lustenberger nimmt zu Ihren Kritiken ausführlich Stellung.

Geht es nun um meine Beurteilung, so stelle ich fest, dass Sie ausdrücklich die kurze Anmoderation zwischen den Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel an einer Gedenkzeremonie in Berlin zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations­lagers Auschwitz und dem Beitrag über die dramatischen Erlebnisse einer der wenigen Überlebenden beanstanden. Sie monieren dabei, dass in der Moderation lediglich gesagt wurde, dass in Auschwitz „über eine Million Menschen starben“. Sie vermissen dabei den Hinweis, wonach die meistens davon „ermordet“ wurden, weil sie „Juden“ waren.

Ihre kritische Reaktion kann ich durchaus nachvollziehen. Es wäre sicher besser gewesen, wenn die von Ihnen vermissten Präzisierungen auch in der Moderation Platz gefunden hätten. Konnte sich das Publikum deshalb keine eigene Meinung über das Thema bilden? Wurde dadurch das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt?

Nachdem ich die Angelegenheit analysieren konnte, gelange ich zu einer anderen Auffassung als Sie. Dies insbesondere aus zwei Gründen.

Zuerst einmal gilt es zu berücksichtigen, dass Bundeskanzlerin Merkel gerade vor der kritisierten Moderation ausdrücklich betonte, dass in Auschwitz eine „Systema­tische Ermordung“ vorgenommen wurde.

Dann aber auch, weil bezüglich Auschwitz ein grosses Vorwissen des Publikums anzunehmen ist. Nicht nur, indem – wie von Herrn Lustenberger ausdrücklich zitiert – sowohl 10vor10 wie auch die Tagesschau in anderen Beiträgen darüber berichtet haben, sondern vor allem auch, weil der Name „Auschwitz“ in der Nachkriegszeit zu einem Symbol für den Holocaust geworden ist. Auch wenn in der Moderation nicht ausdrücklich erwähnt, wusste das Publikum, dass die meisten Opfer dieses Konzen­trationslagers Juden waren.

Insgesamt bin ich deshalb der Meinung, dass das Publikum durchaus in der Lage war, sich über das Thema eine eigene Meinung zu bilden. Das Sachgerechtigkeits­gebot wurde deshalb nicht verletzt. Auch wenn ich für Ihre kritische Reaktion Verständnis habe, kann ich deshalb Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, nicht unterstützen.

4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Mög­lichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 54A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.

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